CORAZON’s Herzschlag I

Der Panther trottete von einer Seite seines Käfigs zur anderen (im Vergleich zu der Freiheit eine Streichholzschachtel).

Und auch, wenn das Tier in eine tiefe Resignation und Demotivation gefallen war, verlor dieser edle, onyxfarbene Körper nichts von seiner Eleganz:

Sehnen, die aufs Äußerste gespannt sich auszutoben träumten,

Muskeln, die jederzeit und bei der kleinsten Gelegenheit dazu bereit waren, ihren Besitzer in für uns unvorstellbare Spektren zu katapultieren,

Zähne und Klauen, die jedem ohne zu zögern das Fleisch von den Knochen reißen würden, als wären diese niemals miteinander verwachsen gewesen…

Eine Erniedrigung, ihn so zu sehen.

Was tat ich überhaupt an einem so gottverlassenen Ort wie diesen Stadtzoo?

Melancholie hing wie eine prall gefüllte Regenwolke über jenem bizarren Abklatsch der Natur, wo dekadente Menschen, teils fasziniert teils gelangweilt, durch die grauen Gitterstäbe in Augen stierten, die sie einst (vor viel zu langer Zeit) zu fürchten wussten.

Ohne jegliche Emotion.

„Artgerecht“ ist nur ein braun gefärbter Begriff, um ihr Gewissen zu beruhigen.

Mein Mitleid wuchs bei diesem schmerzlichen Anblick. Für Tier und Mensch gleichermaßen.

Ich wollte beistehen, Trost spenden, versichern, dass es bald vorbei sein würde…

Doch wer hätte mich verstanden?

Ich hatte längst den Anschluss zu meiner Gruppe verloren.

Aber das machte nichts.

Wir vermissten uns gegenseitig so sehr wie eine Zahnwurzelbehandlung.

Und mehr Energie muss daran nicht verschwendet werden.

Irgendwann blieb er stehen, drehte seinen Kopf und schaute mich direkt an.

Ein seit Urzeiten in meinen Knochen sitzender Schreck ließ mich zusammenfahren.

Es war keine außergewöhnliche Geste des Tieres gewesen, dafür kam sie unerwartet und riss mich genauso gut aus meinen Gedanken wie eine Vuvuzela mit Verstärker.

Mein Herz brauchte Sekunden, um wieder in seine altgewohnte Position zu finden.

Es war Mitte Juli, der Orgasmus des Sommers.

Der Schweiß rann in Strömen, der Asphalt klebte an den Schuhsohlen

und jeder gierte nach der kleinsten Erfrischung, die er kriegen konnte.

Nicht auszudenken, was für ein apokalyptisches Szenario ausbrechen würde, wenn sich plötzlich sämtliche Wasser- und Stromquellen (im wahrsten Sinne) in Luft auflösen würden,

geschweige denn der Eisstand, welcher gerade Höchstumsatz genoss.

Auch ich entknüllte mein frisch erworbenes Wassereis und begann geistesabwesend daran zu lutschen.

Noch kurz überflog ich auf dem kleinen Täfelchen alles über Herkunft, Lieblingsmenüs und Sexgewohnheiten des schwarzen Riesenkaters bevor ich dann weiter schlenderte,

um einen weiteren langweiligen Tag mit langweiligen Menschen in einer durchorganisierten Umgebung zu verbringen…

…hätte mich nicht ein winziges Detail den Millibruchteil einer Sekunde innehalten lassen.

Da war etwas in dem Grün seiner stechenden Augen.

Etwas, das mit unserer beschränkten Logik nicht zu begreifen und mehr ein Gefühl war, als dass ich es richtig sah.

Wenn ich zurückdenke, würde ich es als eine Art Fluktuieren beschreiben, das nichts mit Spiegelungen oder dergleichen zu tun hatte

und einen Tick zu stark, um es als Einbildung abtun zu können.

Die Hitze, erklärte ich mir selbst. Die Hitze die Hitze die Hitze… und gleichzeitig wusste ich, dass ich mir etwas vormachen wollte

(worin ich übrigens noch nie besonders gut gewesen war).

Mir wurde unbehaglich zumute.

Ich war drauf und dran mich abzuwenden, meinen Kopf einzuziehen und mich unter das umher staksende Volk zu mischen.

Reiner Primaten-Instinkt (die mutigsten waren sie ja nicht gewesen…).

Aber er hielt mich allein durch seinen Blick fest.

Provokant. Fordernd.

Ich war gezwungen, näher an ihn heran zu treten.

Da war es wieder!

Diesmal schienen sich Formen auf dieser kleinen Fläche seines Augapfels zu bilden.

Als würde man durch einen dichten Nebel gehen, lichtete sich langsam das Bild, wurde deutlicher, dann kurz wieder verhangen, wie bei einer Fotolinse, die sich scharf stellte.

Es klingt vielleicht verrückt, aber ich meinte Blätter erkennen zu können.

Ihr hypnotisches Versteckspiel verbarg etwas vollkommen vergessenes.

„Starr ihn nicht so lange an, Mädchen. Das mag er gar nicht.“

Ich sah nur noch, wie mir der Tierpfleger einen altklugen Blick zuwarf, dann seine Mistgabel schwang und zum nächsten Gehege schlurfte.

Ich lachte ihn aus.

(Er trug ein „Freund der Tiere“ Shirt mit grinsenden Dschungeltieren, die sich

allesamt liebhatten, wie in einer psychiatrischen Anstalt, nachdem morgens die

„Aufheller“ verteilt wurden…)

Bei den Tieren in den umliegenden Käfigen braute sich derweil eine Unruhe zusammen.

Wie ein aufkommender Sturm.

Sie hatten schon lange vor mir gespürt, dass etwas anders war.

Die Affen kreischten wie von Sinnen und rissen an ihren wackeligen Kletterkonstruktionen.

Die Papageien plusterten nervös ihr Gefieder und stießen verzerrte, menschenähnliche Rufe aus, während die kleineren Tierchen unermüdlich ihre Kreise durch die Käfige drehten, ihren eigenen Schwänzchen hinterher.

Der Panther jedoch rührte sich nicht, sodass ich nicht anders konnte, als ihn weiter anzusehen

und mich erneut in seinen Augen zu verlieren, die so viel mehr waren als das.

Sie bargen eine geheime Welt in sich.

Etwas zog mich dann unaufhaltsam hinein.

Ich spürte nicht mehr das Brennen der Pflastersteine, auf denen ich stand

oder die Kinder, die sich quengelnd mit ihren genervten Müttern im Schlepptau an mir vorbei quetschten.

Ja, nicht einmal das Eis in meiner Hand, welches leise vor sich hin tropfte.

Ich empfand nur noch den Wind, der nach Wildnis und Übermut duftete,

vollkommen eingetaucht in das seltsame Portal, gänzlich unwissend, wohin es führen würde (alles, was ich tun konnte, war vertrauen).

Jetzt erkannte ich genau die Unendlichkeiten eines grünen Meeres,

die Wipfel millionenalter Riesen.

Und mitten hindurch wand sich-, einer gigantischen Silberschlange gleich, der ewige Fluss des Lebens, so klar wie der Himmel über ihm:

Amazonas.

Schillernde Paradiesvögel umschwirrten die stolzen Kronen wie Bienen ihren Stock.

Und mit ihren glockenhellen Liedern huldigten sie ihrer Königin.

Königin?

Eine Göttin ist sie, die ihre Seele in solch ein prachtvolles Reich einfließen lässt!

All die wundersamen Wesen und Pflanzen in den Winkeln und Nischen des Dschungels, in allen Farben des Regenbogens leuchtend, atmeten gemeinsam ein und aus – ein und aus und teilten einen gemeinsamen Herzschlag und dieser pulsierte bis in das kleinste Ästchen hinein.

Es machte süchtig.

Ich wollte darin eintauchen!

Inhalieren, was immer ich fassen konnte. Mehr und immer mehr! Bis ich platzte!

Wollte mit all dem verschmelzen, mir Wurzeln wachsen lassen, so tief und weit, dass ich das ganze Land erfassen konnte, welches kein Ende nehmen wollte, welches gar kein Ende hatte

und für immer ein Teil dieses unglaublichen Ganzen sein.

Mein Körper streckte sich danach aus ohne, dass mein Wille es ihm befehlen musste. Ich war jetzt schon ein Teil des Dschungels, gefangen in seinem Magnetfeld.

Ich wollte sterben und wiedergeboren werden zugleich, um erneut zu wachsen.

Prächtiger als zuvor.

Ich wollte LEBEN!

Denn was bisher gewesen war, verdiente diesen Namen nicht.

Nur noch ein Schritt,

ein einziger Schritt und ich könnte für immer dort sein.

Der betörend fruchtige Blütenduft war bereits so intensiv, dass mir schwindelte.

Und dann begann ich ins Schwerelose zu fallen…

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CORAZONs Herzschlag ist eine Annäherung an die Welt der Doltschins von Beau Cyphre

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